Dem Auftragnehmer eines VOB-Vertrags kann der Auftrag von Aufraggeber entzogen werden, soweit der Auftragnehmer den Beginn der Ausführung verzögert, oder mit der Vollendung in Verzug gerät und eine gesetzte angemessene Nachfrist zur Vertragserfüllung fruchtlos abgelaufen ist.
Ein Verzug des Auftragnehmers tritt nicht ein, soweit dieser einer Weisung des Auftraggebers nicht folgt, der seine geltend gemachten Bedenken treuwidrig nicht berücksichtigt.
Eine Anweisung des Auftraggebers ist dann treuwidrig, wenn danach die Werkleistungen auf eine gegen den Bauvertrag und gegen die Regeln der Technik verstoßende Weise erbracht werden soll, aber gleichzeitig keinerlei Freistellung von der Gewährleistung erfolgt. Eine Verpflichtung des Auftragnehmers, sich einem seiner begründeten Meinung nach ernstlich drohenden Gewährleistungsfall nicht absehbaren Ausmaßes aufzwingen zu lassen, besteht nicht.
Hat der Auftragnehmer dem Auftraggeber nicht nur ordnungsgemäß seine Bedenken mitgeteilt hat, sondern hat die Prüfung dieser Bedenken mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit das Ergebnis, dass die vom Auftraggeber vorgesehene Art der Ausführung zum Eintritt eines erheblichen Leistungsmangels, oder eines sonstigen nicht nur geringfügigen Schadens führen wird, steht dem Auftragnehmer ein Leistungsverweigerungsrecht zu.
Dem Auftragnehmer obliegt die Beweislast für die Treuwidrigkeit der Anweisung des Auftraggebers.
Kündigt der Auftraggeber den Bauvertrag wegen Verzugs, obwohl der Auftragnehmer ein Leistungsverweigerungsrecht hat, ist die Kündigung unwirksam, bzw. mangels Vorbehalt, bzw. Klarstellung, regelmäßig als freie Kündigung des Auftraggebers auszulegen bzw. dahin umzudeuten (Anschluss an BGH, IBR 2003, 595).
Bei freier Kündigung eines Pauschalpreisvertrags muss für die Abrechnung zwischen erbrachten und nicht erbrachten Leistungen unterschieden werden. Die Darlegungslast für das Verhältnis der bewirkten Leistung zur vereinbarten Gesamtleistung und des Preisansatzes für die Teilleistungen zum Pauschalpreis obliegt dem Auftragnehmer.
Sind zur Bewertung der erbrachten Leistungen keinerlei Anhaltspunkte aus der Zeit vor Vertragsschluss vorhanden, oder nicht ergiebig, muss der Auftragnehmer im Nachhinein im Einzelnen darlegen, wie die erbrachten Leistungen unter Beibehaltung des Preisniveaus zu bewerten sind.
Kündigt der Auftraggeber den Bauvertrag „frei“, muss sich der Auftragnehmer auf seine Vergütung den Erwerb anrechnen lassen, der zweifelsfrei durch die Kündigung verursacht ist, d. h. ohne die Kündigung müsste der anderweitiger Erwerb ausgeblieben sein.
Vor allem sog. Füllaufträge können als anderweitige Verwendung der Arbeitskraft angesehen werden. Dies sind vor allem Aufträge, die der Auftragnehmer aufgrund der durch die Kündigung freigewordenen Kapazitäten ersatzweise angenommen hat, oder die schon vorlagen, oder die nunmehr vorgezogen werden konnten, ohne dass dem Auftragnehmer hierdurch Verluste entstehen.
Eine Anrechnung durch das Vorziehen bereits vorliegender Aufträge hat nicht zu erfolgen, wenn die dadurch entstehenden späteren Auftragslücken nicht ihrerseits wieder durch Folgeaufträge aufgefüllt werden können.
Nach Vertragsschluss hat der Auftragnehmer den Auftraggeber auf Lücken und Unklarheiten im Leistungsverzeichnis hinzuweisen.
Soweit der Auftragnehmer seine Aufklärungspflicht schuldhaft verletzt, hat der Auftraggeber einen Anspruch auf Ersatz des hieraus entstandenen Schadens. Gleichzeitig scheidet ein Annahmeverzug des Auftraggebers aus (IBRRS 2022, 2403; BGB a.F. § 649 Satz 2; BGB §§ 280, 642, 648 Satz 2; VOB/B § 4 Abs. 1, 3, § 5 Abs. 4, § 6 Abs. 6, § 8 Abs. 1 Nr. 2; OLG Dresden, Urteil vom 29.06.2022 – 22 U 1689/20; vorhergehend: LG Dresden, 16.07.2020 – 10 O 424/15).